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Stumme Zeugen

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Erika Beilfuß vom Bürgerverein Flottbek-Othmarschen mit dem Versäumnisprotokoll, das im Archiv in der Waitzstraße lagert. 	Foto: mik Von Miriam Kopf. Geheimnisumwittert lag es auf dem Lehrerpult. Wer hätte als Schüler nicht einmal gern einen Blick hineingeworfen oder hat es in einem unbeobachteten Moment sogar getan. Das Klassenbuch: Sammelstelle für Fehlstunden, Fehlleistungen und Fehltritte. Heute noch einmal in den alten Aufzeichnungen zu stöbern, das wäre sicherlich lustig bis ungemütlich. Es sei denn, es geht um die Schüler der Dorfschule Röbbek in der Kriegs- und Nachkriegszeit 1943 bis 1946. In dem einstigen Versäumnisprotokoll herrscht Ordnung und Diskretion. Das ist beim Durchblättern der alten Seiten deutlich zu spüren, die der Bürgerverein Flottbek-Othmarschen in seinem Archiv in der Volkshochschule West an der Waitzstraße verwahrt. Die Namen der Eltern, Kinder und ihr Geburtsdatum sind mit Füllfederhalter in ordentlicher Schreibschrift fein säuberlich eingetragen. Jede Klasse ist durchnummeriert. In den Stufen 5 bis 8 wurden 51 bis 68 Schüler unterrichtet. Die unteren Jahrgänge teilten sich auf jeweils drei bis vier Klassen mit rund 30 Mädchen und Jungen auf. Nach den Formalitäten folgt die Spalte mit entschuldigten beziehungsweise unentschuldigten Fehlzeiten. Allerdings: In der Spalte „Unentschuldigt“ finden sich keine Einträge. Überhaupt bleibt die Auswahl der Eintragungen sehr übersichtlich: Entweder ist ein Name mit Lineal durchgestrichen. In der Spalte „Entschuldigt“ stehen Datum und Ort, die Familie ist umgezogen. Oder in dieser Spalte steht einfach ein „ver- schickt“. Mehr nicht. Manfred Walter, Vorsitzender des Bürgervereins, mutmaßt, dass damit die Landverschickungen während des Bombenkrieges gemeint sein könnten. Zum Ende des Zweiten Weltkrieges, bis Mai 1945, hatten viele Eltern ihre Kinder aufs Land geschickt, um sie in Sicherheit zu wissen. Seltsam: Einige dieser Einträge stammen von Ende 1945. In der Zeit haben geschwächte Kinder häufig bei Verwandten außerhalb der Trümmerstadt gelebt, um zu genesen. Trotz knapper Formulierungen oder gerade deshalb – für...

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