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Nicht seine Sache?

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Er sah ein gerötetes Gesicht mit strubbeligen Haaren aus dem Schlafsack linsen. Ein kurzer Blick in zwei wässrige blaue Augen, ein mulmiges Gefühl im Magen, ein flüchtiger Gedanke an seine Kindheit.... Ein eiskalter Wind trieb dem grauhaarigen Mann Tränen in die Augen, als er den Bahnhof Altona durch den Ausgang Richtung Elbe verließ. Dichter Schneeregen wirbelte um seinen hageren Körper und durchnässte seinen Mantel auf der Stelle. Mit gesenktem Kopf kämpfte er sich Schritt für Schritt gegen den frühmorgendlichen Wintersturm vor. Seinen Schirm spannte er nicht auf, der heftige Wind würde ihn zerfetzen. Vorsichtig überquerte der Mann bei grünem Ampellicht die Straße. Es war die dritte frostige Nacht in Folge gewesen. Der Boden war mit Reif bedeckt und stellenweise gefährlich glatt. Ein Fahrradfahrer überholte ihn mit schlingernden Reifen. Das geht nicht gut, dachte der Grauhaarige. Egal, war nicht seine Sache. Wenn der Blödmann es so eilig hatte… Sein Arbeitsplatz war das Altonaer Rathaus, das mit der prachtvollen weißen Barock-Fassade wie ein Schloss wirkte. Er mochte das vor der Nordfront postierte Reiterstandbild von Kaiser Wilhelm, das er stets mit einem Augenzwinkern begrüßte, bevor er für acht Stunden in den Gängen des ehemaligen Bahnhofgebäudes verschwand. Vor dem ersten Adventswochenende waren zwei festlich geschmückte Tannbäume rechts und links des Denkmals aufgestellt worden. Untrügliches Zeichen dafür, dass der Weihnachtstrubel im vollen Gange war. Weihnachten, herrje. Egal, war nicht seine Sache. Wenn die Eltern ihre verwöhnten Gören mit bergeweise Geschenken zuschmeißen wollten…. Der Mann mochte auch den Stuhlmannbrunnen im Altonaer Park. Der Kampf zweier Fabelwesen um einen riesigen Fisch hatte ihn schon als Kind fasziniert. Darum ging er nie geradeaus die Museumstraße hoch zum Rathaus, sondern machte einen kleinen Umweg durch die benachbarte Grünanlage. Heute zögerte er kurz, weil der matschige Sandweg nicht sonderlich einladend wirkte. Dann bog er doch wie immer links ab und stand vor dem beeindruckenden Brunnen. Einige Sekunden verweilte er und fragte sich wie so oft, wer diesen Kampf wohl gewinnen würde, falls die Kentauren aus der...

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